Die konsensbasierte Normung und die Spezifikationsverfahren ergänzen sich und stehen nicht etwa in Konkurrenz. Der Markt und die Unternehmen müssen unterscheiden zu welchem Zeitpunkt der Innovationsgrad eines Produktes sich für den Konsens eignet oder zunächst einmal für den eingeschränkten Konsens im Rahmen eines Industriestandards oder einer Spezifikation.
Die Unternehmen wägen anhand ihrer Unternehmensstrategie ab, wann sie den konsensbasierten und mit öffentlichem Einspruchsverfahren versehenen Normungsprozess mit einer Zeitdauer von ca. 2 – 3 Jahren wählen oder wann den eingeschränkten Konsensweg mit Spezifikationen mit einem Zeitraum von 3 – 12 Monaten.
Mit diesem Konzept erhalten unterschiedliche Innovationen die Chance, sich im Markt durchzusetzen.
In einer offenen, wenig regulierten Volkswirtschaft fällt der wirtschaftliche Gewinn im Technologiewettlauf an jenen Wettbewerber, der die neue Technologie als Erster am Markt einführt und auch durchsetzt. Der Technologie-Pionier kann nicht abwarten, bis eine entsprechende Norm seinem Produkt den Zutritt zu den globalen Märkten ebnet.
Auch bei den Anwendern neuer technischer Lösungen werden Anreize zu deren Einsatz durch die Globalisierung verstärkt, obschon eine kohärente Normenreihe noch nicht existiert. So sehen sich vor allem transnationale Unternehmen, aufgrund des verstärkten globalen Konkurrenzdrucks, oft dazu genötigt, rasch neue Organisationsstrukturen und Managementmodelle einzuführen. Zu deren Implementierung sind – oft komplementär – neue Informations- und Kommunikationstechnologien erforderlich. Die Verkürzung der Produktzyklen wird zu einem Gutteil ebenfalls dem globalen Wettbewerbsdruck zugeschrieben. Auch die Konvergenz der Technologien und Bereiche mit einem besonders hohen Grad an Innovationen – oft mit hoher Systemkomplexität – haben neue Anforderungen an die Normung gestellt.
In Reaktion auf diese neuen Marktbedürfnisse haben sowohl die europäischen Normungsorganisationen wie auch Industriekonsortien u. Ä. bereits eine Reihe neuer normativer Dokumente entwickelt. Diese neuen Dokumente benötigen weniger Zeit zu ihrer Erarbeitung und basieren nicht auf dem Konsensprinzip. Dafür setzen sie aber sehr viel früher im Bereich von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an und fördern die zukünftige Produkt- und Systementwicklung. Oft wird dadurch auch erst die Systembeteiligung kleiner Unternehmen ermöglicht. Ob aus diesen Vornormen, technischen Spezifikationen (PAS) und Workshop Agreements (CWA) später einmal eine vollgültige Norm werden wird, darüber entscheidet vor allem der globale Markt. Dynamische Unternehmen, deren Bedürfnisse auf kein technologisch aufgeschlossenes Normenumfeld in Europa treffen, würden mit ihren neuen Technologien abwandern. Deshalb ist die Entwicklung solcher neuen Normenprodukte hoch relevant für die technologische Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen und für die Dynamik des Europäischen Binnenmarktes. Darüber hinaus werden durch sie auch Forschung, Entwicklung und Innovation stärker miteinander verknüpft.